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Kapitel 27 - Coming Back To Life

'Where were you when I was burned and broken
While the days slipped by from my window watching
Where were you when I was hurt and I was helpless
Because the things you say and the things you do surround me
While you were hanging yourself on someone else's words
Dying to believe in what you heard
I was staring straight into the shining sun

Lost in thought and lost in time
While the seeds of life and the seeds of change were planted
Outside the rain fell dark and slow
While I pondered on this dangerous but irresistible pasttime
I took a heavenly ride through our silence
I knew the moment had arrived
For killing the past and coming back to life

I took a heavenly ride through our silence
I knew the waiting had begun
And headed straight . . . into the shining sun'

Nach mehreren Monaten Vorbereitungs- und Studiozeit lüfteten Pink Floyd Mitte März den Schleier um 'The Division Bell' etwas und erste Promo-CD's mit dem Titel 'Keep Talking' wurden verschickt. 'Keep Talking' versprach viel; der Song bot einen fetzigen Rhythmus, ein mitreißendes Gitarrenriff, Background-Sängerinnen in der Tradition von 'Not Now John', dynamische Gitarren- und Keyboardsolos und klang durchweg floydianisch. Die Floyd-Fans waren begeistert, hörte man doch Rick Wright zum ersten Mal seit fast zwei Jahrzehnten wieder richtig in die Tasten hauen und auch Davids Stimme klang wesentlich natürlicher und weniger verkrampft als auf 'A Momentary Lapse of Reason' oder 'Delicate Sound of Thunder', vielmehr weckte der Klang Assoziationen zu längst vergangenen Tagen. Eines konnte man ebenso auf Anhieb hören: Pink Floyd hatten zum ersten Mal seit fast zwanzig Jahren wieder Spaß bei ihrer Arbeit.

'The Division Bell' erschien letztendlich am 30. März 1994, in den USA am 5. April. Das Album sorgte für gehörige Verwirrung; 'Cluster One' als Opener erschien wie eine Mixtur aus Klanggeweben in der Art von 'Shine On You Crazy Diamond' und unzusammenhängendem Klavierspiel wie zu Beginn von 'Echoes', danach folgte ein Sammelsurium von Titeln, die massiv an die Pink Floyd der frühen siebziger Jahre erinnerten. Aus diesem Schema brachen nur 'Keep Talking', das extrem kommerzielle 'Take it Back' und der Ohrwurm 'High Hopes' heraus. Vielen Fans gefiel das Album zuerst überhaupt nicht - und die 'alten Hasen' in der Fangemeinde waren über diese Erscheinung oftmals geradezu entzückt -stellte dies schließlich eine lange vermisste Tradition bei Pink Floyd dar, denn vor allem in den 70er Jahren war es schon regelrecht normal, daß man ein neues Album zuerst als gräßlich empfand. Viele kamen mit den Texten nicht zurecht - einige nutzten dies zum Bedauern des Fehlens von Roger Waters, andere zerbrachen sich darüber den Kopf und versuchten sich mit Interpretationen.

Die Medien waren dem Album gegenüber recht positiv eingestellt, was hinsichtlich bisheriger Erfahrungen eher verwunderte. Über Nacht schien eine bislang unerlebte Floydmania aufgetreten zu sein.

'The Division Bell' weißt nicht nur Besonderheiten auf, vielmehr erwies sich das Album als wahre Fundgrube. Einen großen Teil trug hierzu Storm Thorgerson bei, der nicht nur für das Cover verantwortlich zeichnete, sondern auch eine ganze Bildserie in das Booklet einbrachte. Auf dem Cover sind die abstrakten Statuen zweier metallener Köpfe zu sehen, die sich anschauen und zwischen deren Mündern sich eine Lichterkette befindet. Hier findet sich eines der Leitmotive des Albums wieder, die Kommunikation zwischen den Menschen, welche sich auch in 'Keep Talking' manifestiert. Auf der Hülle der CD war ebenso "PINK FLOYD" in Braille eingraviert, ein weiterer Beitrag zum Thema Kommunikation. Auch die Seitenzahlen spiegeln diese Thematik wieder. Die Seitenangaben befinden sich innerhalb der Silhoutten von Köpfen und sind in mehreren Sprachen verfasst: Binär (Seite 2), Spanisch (Seite 3), Englisch (Seite 4), Hindu (Seite 7), Italienisch (Seite 8), Deutsch (Seite 11), Japanisch (Seite 13), Suaheli (Seite 15), Chinesisch (Seite 17), Französisch (Seite 19), Hebräisch (Seite 21) und Russisch (Seite 22). Bei den Titeln 'What Do You Want From Me', 'Poles Apart', 'Marooned', 'A Great Day for Freedom', 'Wearing the Inside Out' und 'Keep Talking' findet man die kommunizierenden Köpfe ebenso.

Doch nicht nur die Kommunikation ist Leitmotiv des Albums; ebenso ist es auch eine Schilderung des bisherigen Werdegangs von Pink Floyd und der Bandmitglieder. 'What Do You Want From Me' ist an Daves Ex-Frau Ginger angelehnt. Die erste Strophe von 'Poles Apart' ist Syd Barrett gewidmet, die zweite zielt auf Roger Waters ab (gemäß einer Aussage von der Cotexterin Polly Sampson). Auf dem begleitenden Foto zu 'A Great Day for Freedom' sind Zeitungsschnipsel des Evening Standard zu sehen - die Zeitschrift, deren Erwähnung bei der Veröffentlichung der Single 'It Would Be So Nice' für einen kleinen Skandal sorgte. Ricks Song 'Wearing the Inside Out' ist vor allem eine Reflektion über Ricks Probleme in den 80er Jahren. In 'Coming Back to Life' spielt David Gilmour mehrfach auf seine Weiterführung von Pink Floyd an, 'Lost for Words' geht intensiv auf die Auseinandersetzungen mit Roger Waters ein. 'High Hopes' ist letztendlich ein einziges Resümee voller versteckter Andeutungen. Das Gras war grüner damals ... David Gilmour betrauert hier regelrecht, daá die 'schönen Tage' schon lange vorüber sind. Sie lebten in einer Welt voller Wunder, bis die Division Bell sie zusammenrief (Anm.: Die Division Bell ist die Glocke im englischen Parlament, die immer dann geläutet wird, wenn sich das House of Commons und das House of Lords kurzfristig vereinigen, um eine Abstimmung zu treffen). "Along the Long Road and on down the Causeway, do they still meet there by the Cut" - Long Road ist eine Straße in ihrer Heimatstadt Cambridge, der Fen Causeway ist eine davon abgehende Straße, die zu der Anchor Inn Bar führt - einem Club, der in der damaligen Zeit der Treffpunkt der Jugend war. Auáerdem war der Anchor Inn ein musikalisches Zentrum, denn im Stockwerk über der Bar befand sich ein Jazzclub. "Running before time took our dreams away" -eine kleine Anspielung auf 'The Dark Side of the Moon', was Pink Floyd den Megaerfolg bescherte und ihnen so ihre Träume nahm (Anm.: "Weglaufen vor der Zeit" - 'On the Run' als direkter Vorgänger von 'Time'. Es gibt auch Vermutungen, daá mit "the myriad small creatures trying to tie us to the ground" die Soundeffekt-Orgie 'Some Small Furry Animals Gathered Together In a Cave and Grooving With a Pict' gemeint sein könnte, da dies eine reine Waters-Komposition war, die den späteren Werdegang von Pink Floyd sehr beeinflusste. Auch "looking beyond the embers of bridges glowing behind us" könnte eine Anspielung darstellen; die "brennenden Brücken" tauchen auf 'Obscured by Clouds' auf, dem letzten Album vor 'The Dark Side of the Moon'. Gilmour blickt mit 'High Hopes' und dem ganzen Album an sich auf die Zeit vor 'The Dark Side of the Moon' zurück - hierzu kommen wir noch später - und 'Obscured by Clouds' stellt hier eine Trennlinie zwischen den 'frühen' Floyd und der Waters-Ära dar). Gilmour singt in 'High Hopes' weiterhin, daß Pink Floyd von den "inneren Gezeiten" wieder in jene Ausgangsstellung zurückgezogen werden, an jene Position, von der aus die Entwicklung der Band übermäßig schnell voranschritt. Er sagt weiterhin, daß sie noch immer den Hunger in sich verspüren und mit ihren Augen den Horizont absuchen, zu welchem sie damals aufgebrochen waren - und obwohl sie die Straße des Erfolgs entlangschritten, doch nie erreichten. Weiterhin wurden Samples aus vorher erschienenen Floyd-Alben benutzt, was den Rückblick auf die eigene Geschichte zusätzlich unterstreicht. Die Glocken findet man in 'Fat Old Sun' auf 'Atom Heart Mother', die Insektengeräusche stammen aus dem Song 'Grantchester Meadows' vom Album 'Ummagumma', die Trommeln im Mittelteil stammen aus 'Bring the Boys Back Home' von 'The Wall'.

'Take it Back' bricht aus diesen beiden Leitmotiven aus. Was sich nach einem oberflächlichen Liebeslied anhört, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als ein Song über die Zerstörung der Natur. Die Menschen treiben die Erde immer weiter an ihre Grenze um herauszufinden, wann sie zerbricht - wohlwissend, daá die Natur zurückschlagen wird. Als kurz nach dem Erscheinen von 'The Division Bell' 'Take it Back' als Single ausgekoppelt wurde (B-Seite war eine Liveversion von 'Astronomy Domine', aufgenommen am 30. März 1994 beim Eröffnungskonzert der Tour in Miami, Florida), wurde natürlich auch ein Video veröffentlicht. Zentraler Punkt dieses Videos ist ein knorriger alter Baum, der von einem Mann in feuerfester Kleidung mit einer Axt gefällt wird (wenn man auf Großbildschirmen oder Projektoren ganz genau hinsieht, kann man auf seiner gelben Jacke kurz den Namen "Eugene" lesen - "Careful With That Axe, Eugene" - hierzu muß man aber ausgesprochen gute Augen haben, auf einem normalen Fernsehschirm kann man es getrost vergessen). Als Folge dieser Handlung bricht die Erde auf, Lavaströme ergießen sich über die Straßen und Pflanzen übernehmen die Kontrolle über die Ansiedlungen und Städte. Auch beim Foto zum dem Song wurde ein unmerklich kleines Gimmick eingebaut: Aus dem bewölkten Himmel sieht ein Auge auf die Landschaft herab (wer es sucht und nicht findet: In der Mitte des Stammes etwa einen Zentimeter nach links, dann erkennt man schemenhaft die Iris). Im Songtext selbst kann auch ein wenig gedeutet werden: "Es ist einfach [die Warnzeichen] zu ignorieren, aber Gott weiß ja, daß ich es versucht habe". Gott dient quasi als Entschuldigung und faule Ausrede, und Gott kann bei der selbstverschuldeten Umweltproblematik mit Sicherheit wenig helfen. In den Booklets ist das Wort "God" durch einen weggestrichenen Buchstaben unkenntlich gemacht. 'Take it Back' hat aber noch eine weitere Besonderheit: Nach ziemlich genau 3 Minuten des Songs kann man auf einem Kanal in der Ferne ein anderes Lied erkennen (aus "Extraordinary Origins of Everyday Things" von Charles Panati). Es hat folgenden Text:

"Ring-a-ring o' roses [Anm.: eine Referenz an den rosenfarbenen
 Hautausschlag, der das erste Sympton der
 Pest war],
A pocket full of posies [Anm.: 'posies' waren Kräuter, die die
 Menschen in ihren Taschen mit sich herum-
 trugen, in der Hoffnung, dass sie sie vor
 der Krankheit bewahren wüden],
A-tishoo! A-tishoo [Anm.: Literarischer Ausdruck für die
 letzten menschlichen Laute, bevor der
 Körper im wahrsten Sinne des Wortes den
 Geist aufgab],
We all fall down." [Anm.: Eintreten des Todes]

Der Bezug zur Rache der Natur und dem Untergang der Menschheit ist schwerlich übersehbar.

Die roboterhafte Stimme bei 'Keep Talking' ist nicht verfremdet, sondern stammt von dem Physiker Stephen Hawking, Professor für Mathematik an der Universität von Cambridge. Sein Hauptaugenmerk richtet sich auf die Theorie des Urknalls. Er erreichte einen weltweiten Bekanntheitsgrad durch sein Sachbuch "Eine kleine Geschichte der Zeit", welches auch als Vorlage zu einem Film diente. Hawking leidet an einer unheibaren Nervenkrankheit und ist daher an den Rollstuhl gefesselt. Seine Kommunikation erfolgt über einen Sprachcomputer, und eben dieser Sprachcomputer ist bei 'Keep Talking' zu hören. Die gesprochenen Sätze wurden nicht extra für das Album aufgenommen, sondern stammen aus einem Werbespot der British Telecom.

Die eigenartigen Geräusche am Anfang des Albums sind ebenfalls eine Erwähnung wert. Hierbei handelt es sich um Geräusche, die in der Erdkruste entstehen. Sie wurden von dem kalifornischen Seismologen G. William Forgey aufgenommen. Am Ende der CD hört man kurze Gesprächsfetzen. David Gilmour ruft hier seinen Sohn Charlie an, der prompt auflegt anstelle zu antworten. In einem Interview mit der Zeitschrift 'Musician' sagte Dave, dass er diese Sequenz absichtlich eingefügt hätte, als Anspielung auf das Thema (Miß-)Kommunikation. Des weiteren ist 'The Division Bell' von Bob Ezrin mitproduziert, Ezrin packte bekanntermaßen in nahezu jede seiner Produktionen das Schreien eines Babies. Wer dieses Baby auf 'The Division Bell' sucht, sollte sich den psychedelischen Mittelteil von 'Poles Apart' einmal genauer anhören.

Die Gebäude auf den Seiten 2 und 3 des Booklets gehören zum Cerro Tololo Interamerican Observatory in Chile. Die Szene zu 'Coming Back to Life' wurde an der südenglischen Küste aufgenommen, genauer am Durdle Door, Dorset. Bei dem Foto bei 'Take it Back', dem Cover der Single, dem Cover von 'The Division Bell' und auch im später veröffentlichten Video zu 'High Hopes' taucht immer wieder ein altes Gemäuer auf, welches das Leitmotiv der eigenen Vergangenheit endgültig komplettiert. Hierbei handelt es sich um Ely Cathedral in Cambrigeshire, England. Die Kathedrale ist wegen einer architektonischen Besonderheit bekannt. Es handelt sich hierbei um ein achtstrahliges Gewölbe, das Oktagon. In der Zeit "als das Gras grüner war", also einschließlich 'Obscured by Clouds', hatten Pink Floyd sieben Alben veröffentlicht. Pink Floyd erwähnten in Interviews, daß 'The Division Bell' musikalisch an ihre damalige abrupt unterbrochene musikalisch orientierte Entwicklung anschließt - wenn man 'Obscured by Clouds' und 'The Division Bell' miteinander vergleicht, erscheinen die beiden Alben in der Tat als musikalisch sehr ähnlich. 'The Division Bell' als musikalischer Nachfolger von 'Obscured by Clouds' und damit das achte Album der musikalischen Tradition - analog hierzu das achtstrahlige Gewölbe der Kathedrale. Die zweite architektonische Besonderheit der Kathedrale ist die "Bridge of Sighs", die Seufzerbrücke, auf welcher die Menschen gemachte Fehler beklagten - eine weitere potentielle Metapher.

Tontechnik stellte 'The Division Bell' das bislang überragendste Album von Pink Floyd dar. Seine volle Kapazität entfaltete es unter Verwendung eines Surround-Systems.

Am Tag der europäischen Erstveröffentlichung, dem 30. März 1994, startete im Joe Robbie Stadium, Miami, Florida, die bislang aufwendigste und teuerste Tournee der Musikgeschichte - Pink Floyd waren wieder voll da.

- (c) 1993-2000 Ralf Ramge -