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Kapitel 18 - In the Flesh

'So ya
Thought ya
Might like to
Go to the show.
To feel that warm thrill of confusion,
That space cadet glow.
I've got some bad news for you sunshine,
Pink isn't well, he stayed back at the hotel
And they sent us along as a surrogate band
We're gonna find out where you fans really stand!

Are there any queers in the theater tonight?
Get them up against the wall!
There's one in the spotlight, he don't look right to me,
Get him up against the wall!
That one looks Jewish!
And that one's a coon!
Who let all of this riff-raff into the room?
There's one smoking a joint,
And another with spots!
If I had my way,
I'd have all of you shot!'

Im Verlauf der 'In the Flesh'-Tournee wurden Veränderungen in der Band immer mehr ersichtlich, vor allem was Roger Waters und seine Einstellung zum Rest der Band und vor allem den Fans betraf. Einige der engeren Mitarbeiter bezeichneten sein Verhalten als paranoid, andere deklarierten ihn schlichtweg als größenwahnsinnig. Roger isolierte sich soweit es nur möglich war von allem, was irgendwie mit Pink Floyd, den anderen Mitgliedern oder der Öffentlichkeit zu tun hatte. Bei Pressekonferenzen oder Empfängen erschien er nicht; während Dave, Nick und Rick mit einer Limousine zu ihren Auftritten gebracht wurden ließ sich Roger kurz vor einem Auftritt mit einem Helikopter einfliegen. Im Laufe der Zeit wurde klar, daß Roger die Konzerte als Quälerei empfand. Er bedauerte seine Entscheidung, daß Pink Floyd vornehmlich in großen Stadien spielen sollten, zutiefst und merkte schnell, daß er nicht in der Lage war, in einer solchen Umgebung in irgendeiner Form Kontakt mit den Fans aufzunehmen. Letzteres wollte Roger ab auch nicht, was sich während der British Winter Tour 1974 schon abzeichnete erreichte hier ein neues Stadium: "Von den Fans kommen die meisten ohnehin nur um Bier zu saufen und es ist verdammt schwierig, zu spielen, wenn die Leute pfeifen, schreien und brüllen, mit Sachen werfen, sich prügeln ... aber gleichzeitig spürte ich auch, daß wir die Situation aus purer Gier heraus selbst geschaffen hatten. Es handelt sich nicht mehr um eine Band, die in der Maschinerie des Business gefangen ist, mittlerweile ist sie ein aktiver Kollaborateur. Rock'n'Roll ist zur Gier geworden, die sich als Unterhaltung tarnt, ebenso wie der Krieg zur Gier geworden ist, die sich als Politik tarnt."

Aber trotz dieser Gewissensbisse verhielt sich Roger dem Publikum gegenüber eher feindlich. Es begann damit, daß Roger Waters während 'Pigs (Three Different Ones)' bei den Konzerten unvermittelt die Zahl der bislang absolvierten Auftritte hinausbrüllte, als könne er das Ende der Tournee nicht mehr erwarten. Und bei dem letzten Auftritt im Olympiastadion von Montreal am 6. Juli 1977 rastete Roger vollends aus und es kam zum Eklat.

Das Konzert fand zwei Tag nach dem amerikanischen Nationalfeiertag am 4. Juli statt und da Montreal nahe an der kanadisch-amerikanischen Grenze liegt ist es kein Wunder, daß eine Vielzahl amerikanischer Fans anwesend war und man übriggebliebene M-80'er mitgebracht hatte. Beim M-80 handelt es sich um eine Art Kanonenschlag, welche recht gefährlich war; in der Regel hinterlies ein M-80 große Brandflecken auf dem Rasen und diese Feuerwerkskörper wurde mittlerweile in den USA auch für den normalen Handel verboten. Während der Eröffnung des Konzertes durch 'Sheep' gingen einige dieser Kracher los, ohne irgendeine Reaktion auf der Bühne zu provozieren. Während Roger die erste Zeile von 'Pigs on the Wing Pt.2' sang, ging ein weiterer M-80 in der Nähe der Bühne los. Roger brach den Song sofort ab, griff sich das Mikrofon und brüllte "Verdammt nochmal, hört auf mit diesem Feuerwerk und dem Schreien und dem Brüllen! Ich versuche hier ein Lied zu singen ... ich meine, es ist mir egal ob ihr es hören wollt oder nicht, aber ich scheiße auf euch, ich bin mir sicher daß es da einige Leute gibt, die es hören wollen. Also warum seid ihr dann nicht einfach ruhig oder verschwindet nach draußen, wenn ihr unbedingt ein Feuerwerk haben wollt. Und wenn ihr schreien wollt, tut das auch draußen. Ich versuche ein Lied zu singen, welches einige Leute vielleicht hören wollen. Ich will es hören." Roger setzte daraufhin das Lied fort.

Im weiteren Verlauf des Abends machte Roger keinen Hehl daraus, daß ihm das Konzert ohne Publikum wohl mehr Freude bereitet hätte. Seine Abneigung konzentrierte sich vor allem auf die Fans in den ersten Reihen und die Misere nahm ihren Lauf, als er damit begann, sich auf einen Jungen zu konzentrieren, der Roger regelrecht anhimmelte und jede seiner Gesten verfolgte. Roger begann damit, seine Performance immer mehr auf diesen Jungen auszulegen, er winkte ihm zu, und lockte ihn immer näher zur Bühne. Der Junge schwebte im siebten Himmel. Als er dann schließlich direkt vor der Bühne stand ging Roger auf ihn zu und während sich der Fan dem Stadium der glückseligen Ekstase näherte, beugte sich Roger vornüber und spuckte dem Jungen einen großen Klumpen ins Gesicht. Dave sah dies und verlies umgehend die Bühne. Roger ging zurück auf die Bühne und erklärte dem Publikum, daß Pink Floyd nicht mehr in der Lage seien irgendwelche anderen Lieder zu spielen und sie deshalb noch ein wenig Musik zum Nachhausegehen spielen würden. Dave Gilmour hatte sich unter das Publikum gemischt und versuchte, zu dem Jungen zu kommen (was ihm jedoch nicht gelang), während die übriggebliebenen Floyds und der Hilfsgitarrist Snowy White versuchten, einen langsamen Blues zu improvisieren.

Das Verhalten von Roger war von mehreren Journalisten von der Pressetribüne aus beobachtet worden, was für dementsprechende Kommentare in den Medien sorgte. Der Ruf von Pink Floyd war hierdurch ausgesprochen ramponiert. Roger hatte seinen Abneigungen freien Lauf gelassen und Dave distanzierte sich in einem Interview von den Vorkommnissen. Er legte auch dar, daß das Verhalten und die Meinung Roger Waters nicht automatisch auch für Pink Floyd gelten - wodurch die immer breitere Kluft zwischen Roger und der restlichen Band endgültig zu einem Thema in der Öffentlichkeit wurde. Roger gelobte in einem anderen Interview, daß Pink Floyd nie mehr ein Konzert geben würden, außer hinter einer hohen Mauer, die ihn vom Publikum trenne würde - denn es gäbe eine riesige Barriere zwischen dem Publikum und dem, was er mit seiner Musik zu erreichen versucht, eine Barriere, die er nicht mehr überwinden könne.

Auf diesem Konzert war der Produzent Bob Ezrin anwesend (er produzierte unter anderem Lou Reed, Kiss und Alice Cooper) und er diskutierte im Anschluß an den Auftritt mit Roger Waters dessen alte Mauer-Idee.

Nach diesem Konzert trennten sich die Wege von Pink Floyd für längere Zeit und begannen mit der Arbeit an Soloprojekten. Roger hatte seine alte Idee eines Konzertes, in welchem er von dem Publikum abgeschottet sein würde, wieder aufgegriffen und zog sich auf seinen Landsitz zurück, um an einem entsprechenden Konzept zu arbeiten. Er gab keine Auskunft darüber ober es ein Projekt für Pink Floyd oder ein reines Soloprojekt werden sollte. Die anderen Mitglieder waren hier nicht involviert, weshalb sie sich eigenen Projekten zuwandten. Rick Wright wurde zum Steuerflüchtling und zog nach Griechenland um.

David Gilmour kümmerte sich intensiv um seinen Zögling Kate Bush und setzte sich bei der EMI für einen Vertragsabschluß mit ihr ein, was in ihrem Debütalbum 'The Kick Inside' aus dem Jahr 1978 resultierte. Ebenso schafften es seine alten Mitstreiter aus 'Bullit'-Zeiten Willie Wilson und Rick Wills (mittlerweile bei 'Foreigner') zusammen mit Ginger Gilmour, Dave zu einem Soloprojekt zu überreden. Roy Harper tauchte auch wieder auf und schrieb zusammen mit David den Song 'Short And Sweet'. Als Dave in den französischen Bear Studios das Album einspielte, hatte er die Idee zu einem Song, der späterhin zu einer seiner legendärsten Kompositionen werden sollte: 'Comfortably Numb'. Da Willie und Rick jedoch in England weilten und die Aufnahmesessions kurz vor ihrem Ende standen, fertigte Dave hiervon nur ein Demotape an und hob 'Comfortably Numb' für eventuelle spätere Projekte auf.Dave brachte so im Mai 1978 ein Album mit dem schlichten Titel 'Gilmour' heraus, in welchem er ein bewußtes Gegenstück zum Perfektionismus von Pink Floyd sah; ein rundum natürliches Album.

Auch Rick Wright befand sich zu dieser Zeit in den Bear Studios und spielte mit Snowy White als Gitarristen sein Album 'Wet Dream' ein, welches nahezu zeitgleich mit 'Gilmour' erschien. Rick hatte dieses Album in seiner neuen Residenz auf Rhodos komponiert und lieferte ein Werk, welches stark vom Jazz beeinflussten Mainstream-Pop bietet.

Sowohl 'Gilmour' und 'Wet Dream' weisen Cover aus der Hipgnosis-Werkstatt von Storm Thorgerson auf. Obwohl die Alben vor Ideenreichtum nur so strotzen, fehlt ihnen das gewisse Etwas - und wurden zu Flops. Diese beiden Alben sind das erste Indiz dafür, daß die Tatsache, daß es sich um Mitglieder von Pink Floyd handelt, noch lange nicht ausreicht, um ein Album auch zu verkaufen. Sie floppten derart, daß sie mittlerweile nicht ohne weiteres erhältlich sind; meistens endet es in langer Sucherei, wenn man sie sich zulegen will.

Im September 1978 standen Pink Floyd dann noch zusätzlich unmittelbar vor dem finanziellen Ruin. Auslöser hierfür war ein Buchhalter namens Norton Warburg. 1973 hatte der damals 29 Jahre alte Versicherungsmakler Norton Warburg in London eine Tätigkeit als Anlagenberater aufgenommen und eine Firma namens 'Norton Warburg Group' gegründet. Warburg war äußerst gesellig und charismatisch und schaffte es schnell, Prominente als Klienten zu gewinnen - unter anderem auch Pink Floyd. Nach dem Erfolg von 'Wish You Were Here' erteilten Pink Floyd ihm eine Generalvollmacht und Warburg kümmerte sich für ein Jahreshonorar von 300.000 Pfund fortan selbständig um sämtliche Finanzangelegenheiten der Band. Seine erste Tätigkeit in seiner neuen Position bestand darin, daß er etwa 3 Millionen Pfund aus dem Vermögen von Pink Floyd in riskante Spekulationsgeschäfte steckte, um das Geld am Finanzamt vorbeizuschleusen. Unter anderem erstanden Pink Floyd hier unwissentlich einen 60%igen Anteil an einer Kette von schwimmendenRestaurantsund die Aktienmehrheit eines Skateboardherstellers. Des weiteren kaufte Warburg eine Immobilienfirma, eine Kette von Pizzarestaurants und einen Hersteller von Booten nahezu komplett auf. Warburg schoß jedoch den Vogel endgültig ab, als er das Geld von Pink Floyd in eigene Vorhaben investierte: als erstes gründete er das Unternehmen 'Norton Warburg Investments' für etwa 450.000 Pfund aus der Kasse von Pink Floyd, es folgte eine Ausgabe von 1.5 Millionen Pfund für 'Cossack Securities'. Warburg gründete also im großen Stil eigene Firmen und lies dies durch Pink Floyd finanzieren - und da er eine Generalvollmacht hatte, wurden diese Ausgaben auch gut vertuscht.

Im Sommer 1978 fiel Steve O'Rourke auf, daß Pink Floyd immer mehr in die roten Zahlen rutschten und man begann mit Nachforschungen. Im Laufe der nächsten Monate platzte die Bombe; Die schwimmende Restaurantkette, Cossack Securities und der Skateboardhersteller mussten Konkurs anmelden, weitere Firmen mit Floyd-Beteiligung folgten. Die Kasse von Pink Floyd wurde zunehmend leerer und leerer, das verlorene Geld musste zu einem Satz von 83% versteuert werden und Pink Floyd versteuerten Einnahmen, die sie nie erhielten. Im September gab Warburg einen optimistischen Geschäftsbericht ab, aber Pink Floyd entschlossen sich trotzdem, sich aus der Sache zurückzuziehen. Sämtliche Verträge mit der Norton Warburg Group wurden gekündigt und Anzeige wegen Betrugs und Fahrlässigkeit gegen Norton Warburg erstattet. Ihre Anteile an Norton Warburg Investments behielten sie jedoch, da hier einige Spekulationsgeschäfte ein wenig Gewinn abwarfen; die Firma wurde in 'Waterbrock' umbenannt und gewinnbringend verkauft. 1981 floh Warburg übrigens nach Spanien und wurde nach seiner Rückkehr im Jahr 1987 für drei Jahre hinter Gitter geschickt.

Diese Beinahe-Pleite und die miserablen Verkaufszahlen sorgten dafür, daß Rogers neues Projekt auf jeden Fall das nächste Album von Pink Floyd werden würde. Zur Rettung der Finanzen gingen Pink Floyd Verträge mit der EMI und der CBS ein, was einen Vorschuß von knapp über 4 Millionen Pfund ergab.

Roger Waters legte als Ergebnis seiner Arbeit gleich zwei in sich abgeschlossene Konzepte vor: 'The Pros and Cons of Hitchhiking' und 'The Wall'. Eines dieser beiden Konzepte musste möglichst schnell zu einem neuen Album verarbeitet werden und Roger überlies den anderen die Wahl. Doch die Wahl erwies sich als alles andere als leicht; die beiden Demobänder waren technisch von miserabler Qualität und waren musikalisch nahezu identisch. Dave, Nick und Rick buchten die Britannia Row Studios für einen Zeitraum von sechs Monaten und begannen zusammen mit den Tontechnikern damit, beide Konzepte zu überarbeiten. In beide Projekte wurde viel Arbeit gesteckt und letztendlich kam man zu dem Schluß, daß 'The Wall' wesentlich universeller als das recht persönliche 'The Pros and Cons of Hitchhiking' war und sich besser zu einem neuen Album eignen würde, welches die Band aus ihrer finanziellen Notlage retten sollte. 'Pros and Cons' wurde deshalb vorerst beiseite gelegt und man wollte es im Anschluß an 'The Wall' herausbringen.

Das Konzept von 'The Wall' war die direkte Konsequenz aus dem Montreal-Konzert und beruhte auf dem Gedanken, daß Roger Waters eine Mauer um sich errichtet und jeder Stein dieser Mauer für eine autobiographische Erfahrung Rogers stünde. Pink Floyd empfanden diese Idee als ein wenig extrem, der Tontechniker Nick Griffiths empfand diesen Seelenstriptease von Roger Waters als pervers - vor allem nachdem Roger mit der Idee ankam, eine Mauer zwischen dem Publikum und der Band aufzubauen, die am Ende des Konzertes zusammenbrechen sollte. Roger zog sich nach der Zusage als Steuerflüchtling Nummer Zwei nach Monaco zurück.

Es blieb nicht lange im Geheimen, daß drei der Floyd-Musiker sich für längere Zeit in den Britannia Row Studios einquartiert hatten und im Herbst 1978 machten erste Gerüchte über ein neues Floyd-Album die Runde in der Presse. Rick Wright verriet einem kanadischen Radiosender erste Einzelheiten: "Wir planen ein sehr großes Projekt. Wir werden ein Jahr brauchen, um das Album einzuspielen, die Show und die ganzen Effekte auszuarbeiten. Wir werden sogar einen Film machen, der auf der Musik des Albums basiert." Ansonsten wurde das Projekt geheimgehalten, aber diese Äußerung reichte aus, um die Gerüchteküche überbrodeln zu lassen - ein solches Projekt hatte es erst einmal gegeben, nämlich die Rockoper 'Tommy' von The Who.

Rogers Konzept sah in der Tat nicht nur ein Album vor; daß es sich auch um eine Theatershow und einen Film handeln würde stand für ihn von vorneherein fest. Zu seinen Ideen gehörte unter anderem, Parallelen zwischen den Konzerten und dem Krieg zu ziehen - in seinem ersten Drehbuch zu dem Film sah er eine Stelle vor, in welchem das Publikum bombardiert wird, während sie den Musikern auf der Bühne applaudieren - und sich nicht davon abhalten lassen, daß einige Zuschauer von den Bomben in Stücke gerissen werden. Hier hatte Roger auch einen hervorragenden Ansatz, aufs Neue autobiographische Geschichten zu erzählen - das Album sollte die Tragödie von einem jungen Mann erzählen, der wie Roger seinen Vater bei der Schlacht von Anzio verloren hat und daraufhin von seiner Mutter nahezu in Liebe erstickt wird. Dieser Antiheld sollte genau wie Roger Schwierigkeiten in der Schule haben und erfolgreicher Musiker werden, bis hin zu der Heirat mit einer Schlampe (nach 'Pigs (Three Different Ones' ein weiterer massiver Seitenhieb in Richtung seiner Ex-Frau Judy). Die Musik sollte ihn letztendlich zugrunderichten, ein Thema, welches Roger nach 'Wish You Were Here' erneut aufwärmte. Mit jeder schlechten Erfahrung in seinem Leben sollte der noch namenlose Held sich ein wenig weiter isolieren, eine Mauer um sich aufbauen.

Im März 1979 tauchten erste konkrete Berichte über ein neues Album in der Musikpresse auf. Pink Floyd bestätigten offiziell, daß im Herbst ein neues Album erscheinen solle, parallel zu einer spektakulären Bühnenshow. Mitte April begannen Pink Floyd unter strengster Geheimhaltung mit den Aufnahmen zu 'The Wall'. Da Pink Floyd unter der damaligen Regierung einem Steuersatz von über 80% unterlagen, wurden nicht die Britannia Row Studios für die Aufnahmen genutzt -stattdessen zog man sich in die französischen Bear Studios zurück. Teile des Albums entstanden außerdem im Producer's Workshop in Los Angeles und in den New Yorker Studios der CBS. Mit Bob Ezrin hatten Pink Floyd auch erstmals seit etwa 10 Jahren wieder einen Produzenten. Ezrin in einem Interview mit Miles: "In Montreal fand ein unverbindliches Gespräch über Rogers Idee mit der Mauer statt. Dann, etwa anderthalb Jahre später, sprachen wir in Rogers Wohnung in London erneut über das Projekt. Er hatte damals bereits einen ersten Entwurf geschrieben und begann, die gigantischen Ausmaße des Projekts zu realisieren. Weil er aber keine Lust hatte, sich wie früher während acht Monaten in ein Tonstudio einzuschließen und dabei seine Familie zu vernachlässigen, beschloß er, einen Mitarbeiter hinzuzuziehen. Er hatte eine ganze Liste von möglichen Leuten aufgestellt, und irgendwie stand ich ganz oben weil wir uns in Montreal schon einmal über diese Sache gesprochen hatten. [...] Ich habe noch nie mit Leuten gearbeitet die so leben wie diese Gruppe. Noch nie. Ihr Lebensstil ist beliebig austauschbar mit dem eines englischen Bankdirektors. Die ganze Gruppe ist sehr, sehr britisch. [...] Es ist kein Geheimnis, daß die Bandmitglieder während der Aufnahmen untereinander oftmals auf Kollisionskurs gingen. Roger Waters ist zugegebenermaßen ein sehr komplizierter Mensch. Aber Roger ist der beste Worteschmied in der heutigen Musikszene, es gibt niemanden, der sich mit ihm messen könnte. Er ist ganz einfach brillant!"

Einen vorläufigen Höhepunkt erreichten die Gerüchte am 19. Mai 1979, als im Melody Maker folgende Bemerkung erschien: "Pink Floyd, die zur Zeit unter erbärmlichen Bedingungen in Nizza ihr neues Album einspielen, haben sich für ihre Bühnenshow ein neues Konzept ausgedacht. Das Album, so wird geflüstert, soll den Namen 'Bricks' tragen. Die Bühnenshow, eine Fortsetzung der üblichen, von Pink Floyd bevorzugten Präsentationen, wird aus einer Backsteinmauer bestehen, die am Bühnenrand aufgebaut wird. Durch dieses bemerkenswerte Bauwerk hindurch wird das Publikkum nur die Hände und die Instrumente der international anerkannten Band sehen können. Nach Beendigung des dritten Songs wird die Mauer explodieren - Ooooooooooooh! - und das Publikum mit Backsteinen überschüttet. Wir nehmen an, daß die Steine entweder aus Styropor oder aus lockeren Teilen von Roger Waters' Hirn hergestellt werden - oder aus etwas ähnlich Weichem und Harmlosem. Typisch für Steuerflüchtlinge, ihre Zeit mit dem Kreieren von derart aufregender theatralischer Unterhaltung zu verbringen!"

Roger Waters hatte Bob Ezrin mittlerweile einen hieb- und stichfesten Vertrag vorgelegt. Ezrin war inzwischen auch als Autor tätig geworden und Roger bot ihm an, an den Texten und dem Konzept mitzuwirken. Im Vertrag befand sich dann die Klausel, daß Bob Ezrin zwar mitarbeiten könne, er aber erwarten dürfe, daß sein Name neben dem von Roger Waters auf dem Album erwähnt werden würde. Ezrin interessierte sich brennend für das Projekt und setzte seine Unterschrift trotz dieser Klausel unter den Vertrag.

Ezrins erste Arbeit bestand darin, aus dem unzusammenhängenden Haufen von Rogers Ideen ein in sich geschlossenes Konzept zu erarbeiten. Er nahm Rogers bisherige Arbeit und überarbeitete sie, gab dem Ganzen eine neue Form und straffte das Ergebnis. Er schrieb 'The Wall' wie ein Buch auf insgesamt 40 Seiten nieder und sorgte für den Zusammenhang, gab dem ganzen einen roten Faden. Er setzte unter anderem auch den Rotstift bei Rogers Texten an und strich komplette Passagen, die ihm als zu persönlich erschienen und Roger eindeutig als Protagonisten der Geschichte identifiziert hätten. Ebenso setzte er sich dafür ein, daß Pink Floyd ihre bisherige Politik bezüglich dem Herausgeben von Singles zu überdenken und sorgte dafür, daß ein Song noch während seiner Entstehung unter dem Aspekt einer Single komponiert wurde. Ezrin sagte zu diesem Thema "Bei allem, was Pink Floyd jemals taten, gaben Pink Floyd immer ihr Bestes. Aber was das Tempo für eine Single war oder wie man ein Intro oder ein Outro hinbekam, wussten sie ganz einfach nicht. Ich hingegen kannte mich mit diesen Dingen aus und sie waren bereit, es auszuprobieren".

Aufgrund der Weigerung von Roger, irgendwelche Co-Autoren auf dem Album zu erwähnen, zogen sich Rick und Nick von der kreativen Arbeit an dem Album zurück. Dave stand dieser Sache auch skeptisch gegenüber, entschloß sich dann letztendlich, trotz dieser Einschränkung an der Musik zu diesem Album mitzuarbeiten. David brachte sein geniales Werk 'Comfortably Numb' in das Projekt ein, ebenso komponierte er den Titel 'Run Like Hell'. Bei 'Young Lust' schrieb Dave den Text; Rogers eigentlicher Entwurf sah einen verklemmten Jungen vor, der heimlich in Sexheftchen blättert und verstohlen die Auslagen von Pornokinos begutachtet. David machte daraus die Darstellung eines sexistischen Angebers, der ständig auf der Suche nach "schmutzigen Weibern" ist. Bei diesen drei Songs wurde Dave in den Credits erwähnt. Beispiele für Fremdmaterial, welches Roger Waters letztendlich durch den Vertrag als Eigenleistung deklarierte, sind hingegen 'Hey You' (komponiert von David Gilmour), 'Is There Anybody Out There?' (Text und Musik von Bob Ezrin), 'The Trial' (Bob Ezrin, auf dem Album wird Roger Waters als Komponist ausgegeben. Diese Zusammenführung aller Charaktere war in Rogers Konzept gar nicht vorgesehen und ist eine Eigenleistung von Ezrin, sowohl was Konzept als auch Text und Musik betrifft).

Der Grund für diesen Vertrag mit seinen Klauseln liegt darin, daß 'The Wall' als Soloprojekt von Roger Waters geplant war - und ohne die Warburg-Misere wäre es auch kein Album von Pink Floyd geworden sondern vielleicht irgendwann später ohne die Beiträge von David Gilmour als reines Waters-Album erschienen. Dieser Vertrag entstand mit dem Hintergedanken, daß im Falle einer Trennung der Band die Urheberrechte alleine bei Roger Waters liegen würden. Bob Ezrin bekam eine Pauschale als Bezahlung und durch die Klauseln wurde vermieden, daß er späterhin Ansprüche als Urheber von 'The Trial' und seinen anderen Beiträgen geltend machen könnte. In Bezug auf 'Comfortably Numb' und 'Run Like Hell', welche nahezu komplett von David Gilmour stammen, konnte es keine Probleme geben, da Waters als Co-Autor aufgeführt wurde. Ebenso wurde 'The Wall' letztendlich nicht als Pink-Floyd-Produktion herausgegeben, obwohl das Projekt vollständig mit Geldern von Pink Floyd finanziert worden war; als Produzenten wurden lediglich Roger Waters, Bob Ezrin und David Gilmour aufgeführt - der Name 'Pink Floyd' oder gar die Namen der Mitfinanziers Mason und Wright tauchen in dieser Liste nicht auf. Der explizit für Bob Ezrin angefertigte Vertrag sorgte im Endeffekt dafür, daß Ezrin keinerlei finanzielle Ansprüche stellen könnte, falls 'The Wall' außerhalb des Rahmens des eigentlichen Projektes vermarktet werden würde, von Tantiemen ganz zu schweigen. Dadurch, daß Pink Floyd nicht als Produzenten angegeben wurden (was ebenfalls vertraglich vereinbart worden war) lagen in Verbindung mit dem Hinweis 'Written by Roger Waters (except:...)' die Rechte vorrangig bei Roger selbst und nicht bei Pink Floyd. Im Falle einer Solokarriere hätte Roger dann 'The Wall' auch ohne Pink Floyd aufführen können, die als Komposition von David ausgewiesenen Titel hätte er dann einfach nicht gespielt und wäre aus dem Schneider gewesen. Aus diesem Grund waren David, Nick und Rick dem Vorhaben gegenüber eher skeptisch, denn es stand außer Frage, daß Roger Waters dieses Projekt der Band nicht zur Verfügung gestellt hätte, wenn die finanzielle Lage es nicht erfordert hätte - und ebenso war klar, daß Roger hier tun und lassen konnte was er wollte, denn ein neues Album musste so schnell wie irgend möglich erscheinen und das vorhandene Material von Dave hätte für ein komplettes Album nicht ausgereicht. Hätten sie in diesen Vertrag nicht eingewilligt, hätte Roger 'The Wall' jederzeit als Soloprojekt herausbringen können und die getane Arbeit wäre durch Rogers Einbringen von Mitarbeitern wie Bob Ezrin umsonst - weil nicht verwertbar - gewesen. Hier rächte sich die Untätigkeit der letzten Jahre bzw. die Tatsache, daß Rick und Dave ihre Energie aufgrund ihrer Unmotiviertheit in Soloprojekte gesteckt hatten. 'The Wall' war der Notnagel, an dem die Zukunft von Pink Floyd und der Bandmitglieder hing und Roger war hierdurch in einer unbestrittenen Machtposition, die er in der Folgezeit auch ausnutzte. Nach dem Warburg-Debakel waren Pink Floyd nur noch ihre Häuser und der restliche Privatbesitz geblieben, ebenso die Büroräume und ihr Studiokomplex. Aus diesem Grund wurde 'The Wall' auch im Ausland produziert um den hohen Steuern zu entgehen (da die Geldverluste nicht unmittelbar im Zusammenhang mit Pink Floyd standen konnten sie sie nach dem damaligen geltenden englischen Steuerrecht auch nicht geltend machen, das Album wäre unfinanzierbar geworden). Steve O'Rourke machte hier die Steuerflucht perfekt; er sorgte dafür, daß alle vier Bandmitglieder ihre Hauptwohnsitze im Ausland anmeldeten um nicht mit ihrem Privatvermögen haften zu müssen, ebenso wurden die Britannia Row Studios trotz des dort fertiggestellten Materials auf dem fertigen Album erst gar nicht erwähnt. Pink Floyd hatten im Gegensatz zu Kollegen wie David Bowie der Versuchung widerstanden, England zu verlassen. Jetzt blieb ihnen keine andere Wahl.

Während der Aufnahmen in Los Angeles lernten Pink Floyd die Beach Boys kennen und freundeten sich mit ihnen an. Ursprünglich war ein Gastauftritt der Beach Boys auf dem Album vorgesehen, aber am Tag vor der Aufnahme sagte Roger Waters ihnen ab und ließ nur den Beach Boy Bruce Johnston bei dem Song 'Waiting for the Worms' mitwirken.

Bei den letzten Sessions im Herbst 1979 spielte Roger die bereits erwähnte Machtposition erstmals voll aus. Rick Wright empfand seine Gegenwart bei den letzten Aufnahmen nicht als notwendig und zog es vor, in seinem Haus in Griechenland zu verweilen. Roger Waters wurde sauer und machte den sofortigen Ausschluß von Rick zur Bedingung für die Fertigstellung des Albums. Dave und Nick ließen sich letztendlich darauf ein und Rick war über Nacht kein Mitglied von Pink Floyd mehr. Rick wurde ausbezahlt und weitere Honorare wurden vereinbart, deren Zahlung Roger allerdings von der Fertigstellung der Bühnenshow und des Filmes abhängig machte. Rick sagte hierzu: "Rog und ich kamen miteinander nicht mehr zurecht. Es wurde zunehmend persönlicher, egal was ich machte, er lehnte es ab. Es war für mich unmöglich, mit ihm zu arbeiten. [...] Wir mußten das Land für ein Jahr verlassen und hoffen, daß das Album genug einbringen würde, um unsere Steuern zu bezahlen. Rog sagte 'Entweder gehst Du oder ich lasse die ganze Sache platzen'. [...] Die Situation war unmöglich. Ich kannte Roger gut genug um zu wissen, daß er seine Drohung möglicherweise wahrmachen würde oder ich keine Tantiemen für das Album bekommen hätte. Ich musste also einwilligen. Und in gewisser Weise war ich ziemlich froh darüber, denn ich hatte die ganze Atmosphäre einfach satt."

Der Rausschmiß von Rick Wright wurde unter Verschluß gehalten. Für die Eingeweihten war die ganze Angelegenheit jedoch klar und einige konnten sich ihre Kommentare nicht verkneifen. Peter Jenner: "Es beunruhigt mich sehr, daß Rich von Roger aus der Band gedrängt hatte. Es geschah genauso schnell und kompromißlos, wie er es vor elf Jahren mit Syd Barrett vollzogen hatte." Bob Ezrin: "Rick ist ein Opfer von Rogers nahezu teutonischer Grausamkeit geworden. Egal was Rick machte, Roger war es nicht gut genug. Für mich war klar, daß Roger kein Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit hatte." David Gilmour: "Ich bin hier mit Roger einer Meinung. Rick hat definitiv nicht die Arbeit gemacht, für die er bezahlt wurde. Ich bin zwar nicht einverstanden mit der Art und Weise, wie es geschah, aber im Großen und Ganzen bin ich mit Roger einer Meinung."

Roger rechtfertigte sein Vorgehen mit der Behauptung, daß Rick aufgrund eines intensiven Kokain-Genusses mittlerweile zu ausgebrannt zum Spielen sein und seine Parts auf dem Album nicht von ihm, sondern von Bob Ezrin und einem Keyboarder namens Peter Woods gespielt worden seien. Es gibt die Vermutung, daß Roger Waters in dem Titel 'Nobody Home' und der Textzeile 'Ich habe ein Klavier, auf dem ich mich aufbahren lasse' gezielt auf Rick anspielte. Inwieweit diese Vermutungen und Behauptungen der Realität entsprechen, ist heutzutage nicht mehr nachvollziehbar aber ein Körnchen Wahrheit ist mit Sicherheit darin vorhanden. Es ist eine unbestrittene Tatsache, daß Rick im Jahr 1978 Gefallen am Koks gefunden hatte und sich den Stoff übermäßig reinzog. Diese Abhängigkeit muß sich zwangsläufig auch auf seine Arbeit ausgewirkt haben, aber man kann wohl davon ausgehen, daß Rogers Aussage nicht stimmt, daß Rick auf dem Album nicht zu hören sei.

Rick Wright war nicht der einzige wichtige Mitarbeiter, der von Roger in die Wüste geschickt worden war. Storm Thorgerson fand ein Schreiben vor in welchem ihm von Roger mitgeteilt wurde, daß seine bisherige Tätigkeit als Gestalter des Covers und Designer der Bühnenshow ab sofort nicht mehr erwünscht sei. Dave zog hierbei jedoch die Notbremse und sorgte dafür, daß der Rausschmiß von Storm nicht perfekt gemacht wurde sondern vielmehr vorläufig nur für 'The Wall' vollzogen wurde. Dave setzte durch, daß Storm eine schriftliche Zusicherung erhielt, daß er mit der Gestaltung der nachfolgenden Floyd-Produktion beauftragt werden würde, falls es eine solche noch geben sollte.

Roger lief anscheinend jetzt erst richtig warm und setzte zu einem Rundumschlag an. Der nächste auf seiner Abschußliste war der 'Playboydrummer', wie Nick Mason von ihm bezeichnet wurde. Im Endeffekt war Roger jedoch noch nicht dazu bereit, auch Mason hinauszuwerfen, was ihn jedoch nicht von einer Reihe von Anspielungen in Gegenwart anderer abhielt. Seine Ungeduld mit Nick demonstrierte Roger unter anderem dadurch, daß er Nicks Namen aus den Credits der Originalausgabe von 'The Wall' streichen lies.

Seine nächste Zielscheibe war der langjährige Floyd-Manager Steve O'Rourke, dem Roger eine Mitschuld an dem Warburg-Debakel anlastete. Hier gingen Dave und Nick letztendlich auf die Barrikaden, wodurch Steve nochmal ungeschoren davonkam.

Roger hatte endgültig demonstriert, was er von Pink Floyd und den engen Mitarbeitern letztendlich hielt. Bis auf Dave Gilmour, der seine Ideen wie gehabt in brillanter Manier umsetzte, betrachtete er den Rest als ersetzbar, wenn nicht gar unnötigen Ballast. Einige Experten interpretieren die Vorfälle dieser wenigen Wochen als Versuch von Roger Waters, möglichst viele Teilhaber abzusägen um den eigenen Gewinn zu vergrößern. Inwieweit dies für diesen Zeitpunkt zutrifft ist reine Spekulation, in den folgenden Jahren erscheinen derartige Vermutungen jedoch als durchaus berechtigt. Es kann jedoch nicht geleugnet werden, daß sich Roger hier endgültig zum Lenker der Geschicke von Pink Floyd aufschwang und die Fäden in seiner Hand zusammenliefen - was in der Zukunft zu massivsten Auseinandersetzungen mit dem 'zweiten Geiger' David Gilmour führen sollte.

- (c) 1993-2000 Ralf Ramge -